Ich muss es mir einfach von der Seele schreiben:
Vermutlich ist es niemandem hier aufgefallen, aber ich war fast 6 Wochen nicht mehr on, und das hat folgenden Grund:
Am 14. November ist meine 20-jährige Tochter bei einem Sportunfall umgeknickt und hat sich das Knie verdreht, für die Fachleute Patella-Luxation mit beidseitigem Bänderabriss. Die Diagnose hat über eine Woche gedauert, wir warteten auf Termine beim Röntgen und für das Kernspin. Während dieser Woche lief sie ziemlich schmerzfrei mit Schiene und Krücken. Als die Diagnose feststand, wurde ein Termin am nächsten Tag zur ambulanten OP vereinbart. Die OP dauerte 6 Stunden statt der veranschlagten anderthalb, Grund: sie reagierte nicht auf die Narkose. Nach Aussage des Arztes hat sie soviel von dem Zeug bekommen, dass es ausgereicht hätte, 3 Erwachsene zu töten. Außerdem stellt sich noch heraus, dass vom Knorpel sog. Flakes abgeschert sind, die per Schrauben wieder fixiert werden mussten. Als sie Stunden nach der OP endlich wieder zu sich kommt, schreit sie vor Schmerzen, von einem ambulanten Aufenthalt ist längst keine Rede mehr. Sobald ein Arzt auftaucht, wundert sich dieser nur, warum sie solche Schmerzen hat, das könne nicht sein. Ist aber so. Nur tut keiner was dagegen.
Nach 4 Tagen dürfen wir unsere Tochter wieder mit nach Hause nehmen, sie schreit nach wie vor ohne Unterlass vor Schmerzen. Es dauert Ewigkeiten, bis wir sie im Auto haben, die Rückfahrt nach Hause Ewigkeiten, sie schreit und schreit, jede Bodenwelle, jede Kurve hat endloses Geschrei zur Folge. Am nächsten Tag stelle ich sie beim Orthopäden vor, der nur genervt reagiert, weil sie nur schreit, sich kaum anfassen lässt. Sie bekommt starke Schmerzmittel, aber ihre Schmerzen glaubt ihr trotzdem keiner. Für den übernächsten Tag ist ein Termin zum Fädenziehen vereinbart. Am folgenden Tag fließt der Eiter nur so aus der Wunde, ich bringe sie sofort zum Arzt, der aber nur abwinkt und ein Pflaster aufklebt. Das wir im 10-Minuten-Rhythmus wechseln müssen, weil es sofort durchgesuppt ist. Wir verbringen ein schreckliches Wochenende, sie schreit und schreit. Aber sie hat ja keine Schmerzen, sie stellt sich nur an. Ist klar.
Als wir montags zum Fädenziehen kommen, wirft der Arzt nur einen kurzen Blick auf das Knie, das natürlich immer noch eitert und weist sie sofort wieder in die Klinik ein, wo sie schon 2 Stunden später in einer Not-OP operiert wird. Diagnose: Staphylokokken und Streptokokken in der Wunde, die Ärzte sagen uns sofort, dass die Infektion bei der ersten OP entstanden sein muss. Die üblichen Narkoseprobleme, wie gehabt. Da sie starkes Asthma und einen Herzfehler hat, sterbe ich selber jedes Mal tausend Tode, wenn sie im OP liegt. Was ist, wenn sie nicht mehr wach wird??? Die folgenden Tage verbringe ich von morgens bis abends im Krankenhaus an ihrem Bett, sie weint viel, ich versuche, die Haltung zu bewahren. Es folgen 4 weitere OPs, sie bekommt Antibiotika-Ketten ins Knie gelegt, die Wunde wird wieder und wieder gespült, aber der Erreger will und will nicht verschwinden. Die Nägel, mit der die Flakes befestigt waren, haben sich allesamt gelockert und wurden dann auch entfernt. Die Schmerzen lassen sich nur mit Hilfe einer PCA-Pumpe kontrollieren, trotzdem schläft sie wenig und weint viel. Und wir kriegen nachts kein Auge zu: was ist, wenn sie nie wieder laufen kann? Wird sie das Bein behalten können? Im Sommer hat sie Abitur gemacht, gerade leistet sie ein Freiwilliges Soziales Jahr ab, im nächsten Jahr möchte sie ein Medizin-Studium beginnen. Wird das alles noch gehen???
Zwei Tage vor Heiligabend dürfen wir sie endlich wieder mit nach Hause nehmen, sie sitzt im Rollstuhl, kann nur max. 2 m an Krücken gehen, dann tut das Bein so weh, dass sie zusammenfällt. Den Heiligen Abend verbringt sie mit viel Tramal-Tropfen intus auf dem Sofa, die restlichen Weihnachtstage im Bett. Sitzen kann sie überhaupt nicht, da sie dann das Bein anwinkeln müsste, was gar nicht geht. Auch ein Ausflug im Rollstuhl endet nach einer halben Stunde, weil sie es kaum mehr aushält. Dabei wollte sie so gerne nochmal Menschen sehen, uns allen fehlt die komplette Vorweihnachtszeit. Sie hat eine mobile Schiene im Bett liegen, mit der sie viele Stunden täglich trainiert, der Erfolg kommt nur langsam und ist mit vielen Schmerzen verbunden. Es folgen tägliche Termine beim Physiotherapeuten, der für sie extra die Praxis öffnet, denn eigentlich hat auch er Ferien... Danke, Aad!!!! Was täten wir ohne ihn und seine Unterstützung, auch für uns als Familie. Aber auch er ist skeptisch, ob sie jemals ihr Bein wieder gebrauchen kann. Bis heute kann sie das Bein weder heben noch knicken.... nicht mal ein bißchen. Im Krankenhaus wurde wegen eines Kommunikationsproblems keine Physiotherapie angeordnet, wertvolle Zeit ist verstrichen. Wird sie das wieder aufholen können?
Mittlerweile sind alle Fäden gezogen, der Chefarzt der Klinik hat ihren Fall zur Chefsache gemacht, allerdings hat uns das nicht davor bewahrt, dass er einige Fäden vergessen hat, sie waren eingewachsen, die haben wir dann zuhause selber gezogen. Meine Tochter hat kein Vertrauen mehr zu Ärzten. Als wir nach ihrer Entlassung den Orthopäden, den wir zuvor wegen der Eiterung konsultiert hatten, fragten, warum er sie nicht direkt eingewiesen hätte, statt noch das Wochenende abzuwarten, forderte er uns auf, uns nie wieder in seiner Praxis blicken zu lassen. Das nenn ich mal ein schlechtes Gewissen! Mittlerweile hat sie 15 kg abgenommen, was sie nicht weiter stört, muss nach wie vor weiter Antibiotika nehmen, die Entzündung ist wieder da. Oder immer noch.
Tja, der langen Rede kurzer Sinn: ich bin wieder hier, wenn auch total fertig, kann immer noch nicht schlafen vor Sorge um mein Kind und bitte euch alle um Daumendrücken, dass meine Tochter wieder auf die Beine kommt. Und an diejenigen unter euch, die sich gerade grämen, weil ihr Baby nicht durchschläft: seid froh, dass das alles ist. Obwohl ich mich sehr gut erinnern kann, dass ich auch mal dachte, das wäre das größte Problem beim Kinderhaben, der Schlafmangel. So alt können die Kinder gar nicht werden, dass man irgendwann damit aufhören könnte, sich zu sorgen.
Nix für ungut, aber ich wollte mich mal ausheulen. Bei meinem Kind muss ich ja immer optimistisch sein....
Alles Liebe und danke fürs Lesen,
Nachtmarie